Soziale Ungleichheit und Kompetenzerwerb

Die soziale Ungleichheit im Kompetenzerwerb und der Bildungsbeteiligung wird oft beklagt. Als Lösung wird mehr Chancengleichheit und Leistungsgerechtigkeit gefordert. Helfen diese Lösungsansätze?

Der sozioökonomische Status beschreibt die Rangordnung innerhalb einer Gesellschaft und ist mit der Verteilung von Ansehen, Vergabe von Rechten und Privilegien sowie mit den Zugriffsmöglichkeiten auf Ressourcen verbunden. Er lässt sich durch Beruf, Bildung und Einkommen operationalisieren. Dabei nimmt der Beruf eine vermittelnde Position zwischen Bildung und Einkommen ein. Eine hohe Bildung führt zu einem angesehenen Beruf, der mit einem hohen Einkommen verbunden ist. Die häufig gestellte Frage „was machst Du beruflich?“ wird damit zu einer Frage nach der sozialen Identität, dem Wert des Befragten in der sozial geteilten Auffassung und schließlich seinem sozialen Rang innerhalb der Gesellschaft (siehe Abbildung 1).

Die Position einer Person innerhalb der gesellschaftlichen Rangordnung wird durch ihr Kapitalbesitzt (ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital und symbolisches Kapital) determiniert, der ihr Wirkpotential eingrenzt. Der Status stellt sich ein im Wettbewerb um den Kapitalbesitzt und der damit verbundenen Verfügungsgewalt über Ressourcen. Dieser Wettbewerb erzeugt Gewinner und Verlierer. Dem Starken, der gesund, intelligent und vital ist, gelingt es einen hohen Status zu erreichen und der Verlierer mit schlechter Gesundheit, reduzierter kognitiver Fähigkeit oder mangelnder Durchsetzungskraft, muss sich mit einem niedrigen Status abfinden. Aufgrund von materieller Trägheit, die dem Kapitalbesitz innewohnt, überträgt sich der Status auf die Nachkommen. Daher kommt es vor, dass ein Kind mit wenig Talent, dessen Eltern aber einen hohen Status haben, eine hohe und kostspielige Bildung und dadurch einen besseren Beruf und ein höheres Einkommen erhält. Das andere talentierte Kind dagegen, dessen Eltern einen niedrigen Status haben, erhält eine billigere, schlechtere Bildung, einen schlechteren Beruf und dadurch weniger Einkommen. Dies wird als soziale Ungerechtigkeit empfunden, der im Namen der Chancengleichheit durch Maßnahmen staatlicher Bildungsinstitutionen zu begegnen ist.Die Schule ist ein Ort der Leistungsgerechtigkeit, wo das Talent und nicht die Herkunft entscheidet. Wer mehr leistet, soll auch mehr erreichen können. Daher wird für die Schule Chancengleichheit gefordert. Der Leistungsfähige erhält dann unabhängig von seiner sozialen Herkunft eine Ausbildung, die seinen Talenten entspricht. Der berufliche Aufstieg des Talentierten gelingt dann genauso wie der berufliche Abstieg des weniger Talentierten unabhängig vom Status der Eltern. Damit verändert sich die Mobilität der Individuen innerhalb der gesellschaftlichen Rangordnung, nicht aber die Rangordnung selbst. Die Ungleichheit zwischen Individuen bleibt bestehen, lediglich werden die Individuen innerhalb der Rangordnung schneller ausgetauscht. Statt soziale Unterschiede zu befrieden, feuert die Chancengleichheit den Wettbewerb um gesellschaftliche Rangplätze an, so dass sich die soziale Ungleichheit zu verschärfen droht. Auch wenn Chancengleichheit somit soziale Ungleichheit nicht verhindert, so optimiert sie dafür die ökonomische Verwendung des Humankapitals durch Zuteilung von Bildung und Beruf nach den Maßgaben der persönlichen Eignung. Es ist denkbar, dass der Status ein funktionaler Teil eines sozialen Systems ist und dieses am Laufen hält, indem die Mitglieder dieses Systems um Rangplätze innerhalb systemrelevanter, funktionaler Produktionsprozesse wetteifern, während Besitzer des Systems von den Mühen und Ringen um monetäres Geldscheineinkommen und Anerkennung durch Überlebenskampfgenossen dispensiert sind und das System für sich laufen lassen. Zur weiteren Optimierung der Anpassung des Humankapitals an das Produktionssystem ist es neben der Auslagerung humaner Prozesse in staatliche Institutionen, Vermarktung sämtlicher Lebensbereiche und Subsumierung des gesamten humanen Potentials unter die Systemanforderungen weiter erforderlich, die Mobilität und Flexibilität der Statushierarchie zu erhöhen und Auf- und Abstiege zu beschleunigen, indem kulturelle Gewohnheiten geschliffen, nationale Grenzen abgeschafft und konservative, statuserhaltende Elemente beseitigt werden.Fazit: Chancengleichheit und Leistungsgerechtigkeit in den Bildungseinrichtungen verhindert nicht die soziale Ungleichheit, da der sozioökonomische Status selbst ein Produkt der Leistungsgerechtigkeit ist. Der sozioökonomische Status erzeugt Gradienten im Kompetenzerwerb und der Bildungsbeteiligung, weil er Ausdruck von Leistungsfähigkeit ist. Leistungsgerechtigkeit und Chancengleichheit in den Bildungseinrichtungen reproduziert genau diesen sozioökonomischen Status und machen ihn flexibler, mobiler. Die Leistungsgerechtigkeit und Chancengleichheit müsste durch eine Gerechtigkeit, die sich am Bedarf der Person orientiert und den Menschen ins Zentrum stellt, ergänzt werden. Es stellt sich die Frage, ob von den öffentlichen Bildungsinstitutionen intentional überhaupt noch dieses persönliche Grundbedürfnisse abgedeckt werden könnte, da eine solche Intention im Spannungsverhältnis zur globalen Agenda der Systeminteressen stünde.


Copyright 2021. All rights reserved.

Verfasst 26. Juni 2021 von Eichhörnchen in category "Armut